3. Juni – Das tägliche Leben in Honduras

    Der Monat Mai war klima-technisch sehr schwierig. Der Regen, welcher normalerweise Anfangs Mai einsetzt, kam erst in der letzten Maiwoche. Das Wasser wurde überall knapp, doch das Schlimmste war die Luftqualität. Durch die vielen Waldbrände gab es einen Smog über Honduras, welcher das ganze Land mit einer dicken Rauchwolke bedeckte. Laut der Luftqualität-App “IQ-Air” war Honduras weltweit das Land mit der höchsten Kontamination! Es kann sich so vorgestellt werden, als ob man Tag und Nacht neben einem Lagerfeuer sitzt und den Rauch einatmet. Wohnung, Kleider, Bettwäsche; alles hat nach Rauch gerochen. Die Regierung hat einen Notstand ausgerufen mit den Massnahmen, dass alle Staatsangestellten Homeoffice machen müssen und der Aufenthalt im Freien sollte kurzgehalten werden. Dies war für viele hier ein schlechter Witz, denn wie es die Honduraner so passend ausdrücken: “Si no salgo, no como!” (Wenn ich nicht rausgehe (gemeint ist die Arbeit oder aufs Feld), habe ich kein Essen). Mit dem Regen, welcher in den letzten Tagen endlich gekommen ist, gab es eine grosse Linderung!

    Vor (oben) und nach (unten) dem Regen

    In der Politik ist das Thema momentan vor allem die nächsten Präsidentenwahlen, welche im November 2025 stattfinden werden. Es ist schon erstaunlich, wie mehr als ein Jahr vor den Wahlen sich schon alles darum dreht. Deswegen werde ich für dieses Mal den Politik-Teil kurzhalten, dafür die Darmentleerung ansprechen 😊 Näheres kommt weiter unten.

    Viele der Honduranerinnen und Honduranern kochen nach wie vor mit Feuer und für dies wird Feuerholz benötigt. Das Holz wird im nahegelegenen Wald gesammelt und oft müssen die Kinder mithelfen. Als letzte Woche ein paar Geschwister an unserem Haus mit Holz vorbei gingen, fragte ich sie, ob heute keine Schule sei. Sie haben sich etwas unsicher untereinander angeschaut und schliesslich flüsterte mir die Älteste, dass sie Holz sammeln mussten. Und da wurde mir wieder einmal bewusst, wie oft falsch geurteilt wird. Denn für die Familie (welche in diesem Fall alleinerziehende Mütter sind), stellt sich die Frage: Ist es wichtiger, meine Kinder heute in die Schule zu schicken oder sie Holz sammeln gehen lassen, damit ihnen Essen gekocht werden kann? Eine Frage, welche für uns in Europa nicht vorstellbar ist, denn wir drehen morgens einfach die Herdplatte an und können kochen…

    Und nun zum Thema Darmentleerung 😊 Ich finde die kulturellen Unterschiede immer wieder spannend und da wir momentan an einem Zimmer mit Bad am Bauen sind, möchte ich gerne darüber berichten, wie die menschlichen Ausscheidungsprodukte hier in Honduras gehandhabt werden: Viele Familien in den ländlichen Gebieten besitzen noch die sogenannten Plumsklos und die “fosa septicas”. Für diese “fosa septica” wird ein 2.50 Meter tiefes Loch in die Erde gegraben und mit alten Lastwagenpneus ausgelegt, welche zur Stabilität dienen. Über die “fosa septica” kommt eine Beton-Platte und die Rohre gehen dann vom WC in dieses “Loch”. Ich stellte dann die Frage, was passiert, wenn dieses Loch voll wird? Anscheinend sei dies sehr schwierig, denn vieles zergeht mit der Natur. Ansonsten gäbe es anscheinend Firmen, welchen den Service anbieten, diese Löcher zu leeren. Spannend 😊

    Da im Gemeindezentrum nach wie vor gebaut wird, vergnügen wir uns mit der Bibliothek immer noch im Wald. Letzte Woche haben wir Wald-Mandalas gelegt mit all den vielen Materialen, welche im Wald zu finden sind. Wir hoffen jedoch, dass wir bald wieder in “unsere “ Bibliothek gehen dürfen!

    27. April – Das tägliche Leben in Honduras

    Der Monat März brachte für viele Honduranerinnen und Honduraner eine freudige Nachricht: Der Ex-Präsident von Honduras, Juan Orlando Hernandez, wurde in den USA schuldig gesprochen! Die Dauer der Strafe ist noch nicht festgelegt, doch für viele ist es schon eine “Befriedigung” für die jahrelange, gelebte Korruption unter dem Ex-Präsidenten. Wir sind gespannt auf Juni, voraussichtlich wird dann die Strafe definiert. Die Ehefrau von Juan Orlando betont zwar immer wieder an öffentlichen Zusammenkünften, dass ihr Mann unschuldig sei und geht sogar so weit, dass sie angekündigt hat, sich als Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen vom nächsten Jahr zu stellen. Dies in der gleichen Partei wie ihr Mann; der rechten “Nacional”. Ob das so einfach ist, wird bezweifelt.

    Auch die aktuelle Partei, die linke “Libre”, bereitet sich auf die Präsidentschaftswahlen vom nächsten Jahr vor. Eine mögliche Kandidatin könnte wieder eine Frau sein, auch hier sind wir gespannt. In Honduras werden alle vier Jahre ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt. Eine Wiederwahl ist nämlich gemäss der Verfassung nicht möglich. Wenn man es sich genau überlegt, ist dies eine sehr kurze Zeit, um etwas bewirken zu können. Denn nach drei Jahren Amtszeit wird der Fokus schon wieder auf die nächsten Wahlen gelegt…

    Im Monat April gab es viele Waldbrände. Dies ist zwar nichts Neues für diese Jahreszeit, und doch ist es immer wieder traurig zu sehen, wie viele Wälder vom Feuer zerstört werden. Der Auslöser der Waldbrände sind oft die Menschen; leider. Letzte Woche gab es ein grosses Feuer in der Nähe der Hauptstadt, welches die ganze Stadt inklusiv der Nachbargemeinden, so auch uns, in eine grosse Rauchwolke eingebettet hat…

    Waldbrand im Nationalpark La Tigra, Tegucigalpa
    Quelle: elherlado.hn 

    Ein Thema, welches mich ebenfalls immer wieder traurig macht, ist die Gleichstellung von Frau und Mann. Dies zeigt das Beispiel von Johanna (Name geändert), welche im Nachbarsdorf wohnt. Sie ist 14 Jahre jung und besucht die sechste Klasse! Sie hat eine Lernschwäche und da für sie die Möglichkeit fehlt, angepasst begleitet zu werden, wird sie seit einigen Jahren in der sechsten Klasse behaltet. Sie kam regelmässig in die Bibliothek und ist ein sehr fröhliches und kreatives junges Mädchen. Anfang April hat sie mir verkündet, dass sie leider nicht mehr kommen könne, auch die Schule wird sie nicht mehr besuchen. Ich fragte sie nach dem Grund und sie antwortete mir, dass ihre Mutter bald ihr sechstes Kind bekommen wird und da Johanna die älteste ist, wird sie zu Hause den Haushalt führen müssen. Sie erzählte mir, dass sie ja diejenige ist, welche nicht in die Schule gehe und deswegen sei es “normal” für sie, dass sie den Haushalt übernehmen wird. Ich empfand eine grosse Traurigkeit für Johanna; sie passt nicht in das aktuelle Schulsystem rein, ist jedoch so ein spezielles Mädchen, welches mit 14 Jahren bereits erwachsen sein muss und einen Haushalt führen wird… Dies ist leider die Realität von so vielen jungen Mädchen hier.

    Letzte Woche habe ich eine Nachbarin getroffen, welche im Mai ihr zweites Kind erhalten wird. Ich habe ihr freudig gratuliert, da ich wusste, wie sehr sie sich ein zweites Kind gewünscht hat. Sie nahm die Gratulation nur zögerlich an und liess mich dann wissen, dass es wieder ein Mädchen sein wird. Ihr erstes Kind ist bereits ein Mädchen und anscheinend wollte ihr Partner unbedingt ein Junge haben. Für mich ist es immer wieder erschreckend, wie sehr die Tatsache, ein Junge zu gebären, hier einen hohen Stellenwert hat!

    In der Bibliothek versuchen wir daher immer und immer wieder, den Kindern die Gleichstellung von Frau und Mann nahe zu bringen. Wir haben im März einen erneuten Kunstworkshop durchgeführt, wo die Kinder und Jugendliche gelernt haben, Portraits und Gesichtsausdrücke zu zeichnen. Die kleineren Kinder konnten sich im freien Malen üben und es ist schön zu sehen, wie sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen!

    Da das Gemeindezentrum, wo unsere Bibliothek steht, für die nächsten zwei Monaten anders verwendet wird, haben wir unser Spiel- und Bastelnachmittag in den Wald verlegt.😊 Nun gehen wir jeden Donnerstag in den Wald, bauen Hütten, spazieren, nehmen Malsachen oder ein Buch mit und geniessen es. Die Kinder lieben es, sich im Wald frei zu bewegen und so haben wir eine freudige Alternative zur “Raum”-Bibliothek gefunden 😊

    2. März – Das tägliche Leben in Honduras

    Nach einer längeren Pause bin ich wieder zurück in Honduras und nehme das Schreiben wieder auf😊

    Das Jahr 2023 ging mit einer milden Regensaison zu Ende, glücklicherweise gab es keine grossen Schäden wegen des Regens. Auf politischer Ebene ging es weniger mild zu und her. Das grosse Thema ist das momentan laufende Gerichtsverfahren gegen den Ex-Präsidenten Juan Orlando Hernandez in den USA. Er steht in New York wegen Drogenhandels und Verwicklung in bewaffnete Straftaten vor Gericht. Festgenommen und ausgeliefert wurde er bereits kurz nach dem Ende seiner Präsidentschaft im Jahr 2022. Die Gesellschaft ist sehr gespalten bezüglich dieses Themas; die einen stehen hinter ihm und sind empört, dass “ihr” Ex-Präsident so behandelt wird. Die andere Hälfte hofft auf Gerechtigkeit und dass eine gerechte Strafe erteilt wird. Es bleibt also spannend…

    Das Thema USA ist auch hier im Alltag sehr präsent; fast wöchentlich vernehme ich, wie sich Familienangehörige von Bekannten auf den Weg in die USA gemacht haben. Als ich letzte Woche beim Früchtestand einkaufen ging, erzählte mir der knapp 14jährige Verkäufer, dass sein Vater sich vor zwei Wochen auf den Weg in die USA gemacht hat, um dort einen besseren Job zu finden. Der Früchtestand hat er seinem Sohn, dem 14jährigen Verkäufer, vererbt. Um am Stand präsent zu sein, musste der Junge die Schule abbrechen und hofft, dass sein Vater bald in den USA ankommt und Arbeit findet. Auch der Sohn unserer Nachbarin, welcher 18 Jahre alt ist, hat mir vor Kurzem erzählt, dass er sich bald auf den Weg “Richtung Norden” machen wird. Oft gehen sie mit einem Freund oder “kaufen” sich ein sogenannter Coyote; quasi ein Expert, der den Weg von Honduras an die amerikanische Grenze gut kennt, überall Kontaktpersonen hat und hilft, über die Grenze zu kommen.

    Dass das Leben für Migranten in den USA oft schwer ist, zeigt das Beispiel von Hector (Name geändert). Er bekam letztes Jahr im Juni ein sechs-monatiges Arbeitsvisum für die USA, ist jedoch noch einem Monat vom Arbeitsort weggegangen in einen anderen Staat. Dort hat er gearbeitet, bis er vor einigen Wochen krank geworden ist. Eine Bauch-Hernie erschwert ihm das Leben und eine Operation ist nötig. Da er keine Versicherung hat, kann er sich die Operation nicht leisten und fehlt immer wieder bei der Arbeit. Er möchte eigentlich zurück nach Honduras kommen, doch das ist gar nicht so einfach: Entweder kommt er auf “illegalem” Weg zurück nach Honduras oder er kann das Geld für einen Flug auftreiben. Jedoch kommt dann hinzu, dass sein Visum bereits abgelaufen ist und er sich der Migrations-Polizei stellen müsste. Eine schwierige Situation, welche aufzeigt, dass die Migranten und Migrantinnen oft ein schweres Leben in den USA führen.

    Das öffentliche Gesundheitssystem ist nach wie vor überfordert. Meine Nachbarin erzählte mir letztes Mal ihre Erfahrung, wo ich nur kopfschüttelnd zuhören konnte: Da sie an einer Muskelerkrankung leidet, muss sie alle drei Monate ins Spital, um dort ihre Medikamente abzuholen und sich von der Ärztin untersuchen zu lassen. Als sie letztes Mal ging, gab es leider keine Medikamente – sie musste sie selber in die Apotheke kaufen und zahlen gehen. Und als sie vor einer Woche zu ihrem Termin ging, teilte ihr die Sekretärin mit, dass sie heute gar keinen Termin habe. Meine Nachbarin hat ihr den Brief mit dem Datum gezeigt und hat als Antwort erhalten: “Tut mir leid, es ist leider vergessen worden, ihr Termin in unserer Agenda zu notieren. Somit können Sie ihren Termin nicht wahrnehmen.” Und dies, nachdem sie 4 Stunden gewartet hat und mit Müh und Not das Geld für den Transport ins Spital zusammengebracht hat. So muss sie wieder drei Monate warten, bis sie ihren Termin (hoffentlich) wahrnehmen kann.

    Mit so vielen schwierigen Themen rundherum, freut es mich immer mehr, dass wir mit unserer Bibliothek eine “Insel” für die Kinder aufbauen konnten. In den Monaten Dezember und Januar konnten die Kinder an einem Ferienkurs teilnehmen, wo auf spielerische Weise Mathematik und Spanisch geübt wurde. So waren sie bestens vorbereitet, als diesen Monat die Schule wieder begonnen hat. Erfreulicherweise hat es nun einen Lehrer mehr an der Schule 😊 Dies ist ein grosser Schritt, nun hat jeder Lehrer zwei Klassen und nicht mehr (wie vorher) drei.

    Ab diesem Monat geniessen die Kinder wieder den Donnerstag-Nachmittag mit Spielen und Basteln. Und das Kreativ-Projekt wird ab März einmal pro Monat weitergeführt; jeden Monat wird es einen Workshop geben, entweder mit etwas Kreativem verbunden oder einen Waldtag 😊

    30. September – Das tägliche Leben in Honduras

    Diese zwei Monate, August und September, haben mir das Schreiben schwer gemacht 😊 Dieser Text wurde ungefähr zehn Mal neu geschrieben, denn auf politischer Ebene läuft so viel, dass mein Geschriebenes am nächsten Tag schon wieder nicht mehr aktuell war. Dies reflektiert die politische Situation des Landes sehr gut; es ist sehr schnell-lebig und unsicher. Heute entscheiden die Politiker und Politikerinnen etwas – morgen gibt es einen Protestmarsch dazu und übermorgen wird die Entscheidung wieder verworfen.

    In den letzten zwei Monaten gab es verschiedene Protestmärsche, welche das tägliche Leben am jeweiligen Tag stillgelegt haben. Die Gegenpartei organisierte einen Protest-Marsch, um die aktuelle Partei zu mehr Aktionen aufzufordern. Wenig später organisierte diese aktuelle Partei einen Marsch, um sich mit der Präsidentin zu solidarisieren. Solche Märsche legen die ganze Stadt lahm, mehrere Strassen werden gesperrt und es herrscht ein enormes Verkehrschaos. Unsere Nachbarin erzählte mir, dass sie auf dem Heimweg drei Stunden im Verkehr stand und erst um 21 Uhr zu Hause angekommen ist.

    Ein grosses Thema ist momentan die Wahl des Generalstaatsanwaltes hier in Honduras. Seit Wochen streiten sich die Politiker und Politikerinnen über diese Position, welche ein sehr wichtiger Teil des Gerechtigkeitssystem des Landes darstellt. Es gibt mehrere Kandidaten und Kandidatinnen, darunter auch einige Qualifizierte und Ehrliche. Gewählt wird theoretisch vom Kongress, doch wie leider so oft, haben auch hier die grossen Unternehmer des Landes einen mächtigen Einfluss auf diese Wahl. Es ist bekannt, dass ungefähr zehn Unternehmer-Familien eine grosse Macht hier in Honduras haben und diese Familien entscheiden mit über diese Wahl der Generalstaatsanwaltes – natürlich nicht öffentlich, sondern im Hintergrund. Diese Familien haben ein grosses Interesse daran, dass die Wahl auf eine Person fällt, welche mit ihnen im “Einklang” steht. Warum? Diese Frage ist einfach zu beantworten: es liegen mehrere Beweise vor, dass diese Familien stark korrupt und an vielen Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, und deswegen wird die Wahl genau beobachtet. Mittlerweile ist es so weit gekommen, dass die Wahl auf Eis gelegt worden ist und niemand weiss wirklich, wie und wann es weiter gehen soll.

    Der Monat September ist immer von einem grossen Datum gekennzeichnet: der 15. September – Dia de la Independencia (Unabhängigkeitstag). Es ist einer der wichtigsten Tage hier in Honduras und auch die Kinder aus unserem Dorf bereiten sich sehr auf diesen Tag vor. Sie erzählten mir bereits im August, dass sie nun jeden Tag zwei Lektionen lang in der Musikgruppe üben werden, damit sie gut auf den Umzug am 15. September vorbereitet sind. Die Kinder übten also ab August jeden Tag für 2 Lektionen, das heisst, dass sie nur 1 Lektion Schule hatten pro Tag. Im September übten sie sogar den ganzen Morgen und erhielten somit die erste Hälfte des Septembers gar keinen Unterricht! Dies erschreckte mich sehr, doch was mich noch mehr erstaunte, waren die Ausgaben für diesen Umzug. Die Kinder müssen eine bestimmte Uniform tragen, um am Umzug teilnehmen zu können (beinhaltet Kostüm, Schuhe, Accessoire). Das ganze Outfit kostet die Eltern 3’000 Lempiras (ungefähr 120 CHF)! Bei einem Durchschnittsmonatslohn von ca. 10’000 Lempiras ist das gut ein Drittel! Oft werden sogar Kredite aufgenommen, damit die Kinder an diesem speziellen Tag am Umzug teilnehmen können.

    Quelle: https://hondudiario.com/nacionales/estudiantes-de-primaria-rinden-honores-a-la-patria-con-desfiles-previo-al-15-de-septiembre/

    In unserer Bibliothek wurden in den letzten zwei Monaten viele Aktivitäten durchgeführt. Der mittlerweile bekannte Kleiderbazar wurde rege besucht und im August durften wir mit einem neuen Projekt starten: Um den Kindern das Kreative näher zu bringen, ist bis Ende Jahr monatlich ein Kunst-Workshop geplant. Im August starteten wir mit einem klassischem Zeichnungsworkshop und diesen Monat hatten wir einen Keramiktag. Es war eindrücklich zu sehen, wie viele der Kinder und Jugendliche begeistert waren und mit voller Motivation mitgemacht haben. Da am 10. September hier in Honduras der “Dia del Niño” (Kindertag) gefeiert wird, haben wir in der Bibliothek eine kleine Feier mit Fruchtsalat, leckerem Eis und einer Piñata geniessen können.

    31. Juli – Das tägliche Leben in Honduras

    Juli – ein beliebter Sommermonat in Europa. Wir hier in Honduras freuen uns über den Regen, welcher (gegen alle Erwartungen) doch regelmässig kommt. Zumindest bei uns in der Gegend. In anderen Regionen von Honduras hat es diesen Monat kaum geregnet, was die Diversität in diesem Land wieder einmal deutlich zeigt. Und ja, jetzt schreibe ich schon wieder über den Regen 😊 Seit ich in Honduras wohne, ist mir viel mehr bewusst, welchen Einfluss die Natur auf das tägliche Leben der Menschen haben kann. Und wie wertvoll das Wasser ist…

    In Honduras diskutieren die Politikerinnen und Politiker momentan über eine Änderung in der Bildungslandschaft. Letztes Jahr wurde vom Kongress bestimmt, dass sexuelle Aufklärung fix im Lehrplan verankert wird und über die Verschiedenheiten der Sexualität gesprochen werden darf (sehr traurig, dass dieses Thema im Jahr 2023 noch ein Diskussionspunkt sein muss …). Nun, da es um die Umsetzung geht, melden sich die Kirchen mit starker Kritik und wehren sich gegen diesen Entscheid. Letzte Woche ging es dann soweit, dass sie sogar zu einem Protest-Marsch in Tegucigalpa aufgerufen haben, an welchem mehrere Hundert Menschen teilgenommen haben. An diesem Beispiel wird die Macht der religiösen Institutionen wieder klar sichtbar, und es geht sogar soweit, dass nun jetzt auch die Regierung diese Änderung wieder in Frage und sich auf die Seite der Kirchen stellt. Mir wurde erklärt, dass sich die Regierung schlecht leisten kann, sich gegen die Kirchen zu stellen, denn wie oben erwähnt, sie haben einen extremen Einfluss auch auf politischer Ebene.

    Ein anderes Thema, welches im täglichen Leben hier in Honduras immer wieder präsent ist, ist der “American Dream” (amerikanischer Traum). Für viele Honduranerinnen und Honduraner erscheint ihre momentane Situation hier aussichtlos und eine mögliche, lukrative Lösung sehen sie in Amerika. Fast alle Familien hier in Honduras haben mindestens jemand aus ihrem Bekanntenkreis in den Vereinigten Staaten, die ohne Visum die Grenze überschritten hat und undokumentiert in den USA lebt. Anfang Monat wurde ein Sohn unserer Nachbarin, welcher als Migrant in den USA ist, zurück geschickt, da er ein “Problem” hatte mit den dortigen Behörden. Er war 2 Monate im Migranten-Gefängnis und wurde dann mit dem Flugzeug nach Honduras geflogen. In Honduras angekommen, kam er seine Familie besuchen und machte sich nach ein paar Tagen erneut auf den Weg in die USA. Er habe diesen Weg schon mehrmals gemacht und kenne die Punkte, an denen die Grenzen überquert werden könne. Nach 16 Tagen war er bereits wieder in den USA! Dieses Beispiel ist nur eines von Tausenden Migrantinnen und Migranten, welche in den USA leben… Sie arbeiten viele Stunden, verdienen im Verhältnis wenig Geld, werden oft schlecht behandelt, sind weit entfernt von ihrer Familie, und doch möchten sie lieber dort sein als hier in Honduras…

    Eine andere Art der Migration ist die sogenannte “Moderne Form der Sklaverei”, wie es von vielen hier in Honduras genannt wird. Amerikanische Firmen, meistens Baufirmen, holen sich Arbeitskräfte von Honduras und anderen Ländern in Zentralamerika. Letzte Woche gingen drei Männern aus unserem Dorf in die USA, um sechs Monate lang in einer dieser Firmen zu arbeiten. Ich hatte die Möglichkeit, kurz vor ihrem Abflug mit ihnen zu sprechen und war sehr überrascht: Sie wussten weder wohin sie genau gehen werden, wie sie wohnen würden, wie viel sie verdienen werden, noch welche Arbeit sie genau verrichten werden. Sie wussten lediglich, dass sie bei einer Baufirma für 6 Monate arbeiten und danach zurückkehren werden. Sie mussten die Visa-Kosten sowie den Flug vorbezahlen und werden es dann mit dem Lohn zurückbezahlt erhalten (anscheinend). Trotz dieser Ungewissheit wie ihr Leben in den nächsten sechs Monaten aussehen wird, waren alle sehr freudig und voller Motivation, denn eines ist klar: Sie werden viel mehr verdienen als hier in Honduras. Mit dieser Aussicht wird sogar in Kauf genommen, dass einer von ihnen seinen drei Wochen alten Sohn zurück lässt.

    Wenn ich solche Geschichten höre, gehe ich jedes Mal mit bewussteren Augen und bestärkt wieder in unsere Bibliothek, wo wir den Kindern und Jugendlichen eine andere Form des Denkens vorleben dürfen.

    Beispielsweise versuchen wir dies mit unseren neuen Programmen: Letzten Monat besuchten wir mit den jüngeren Kindern ein Kinderkonzert in Tegucigalpa. Beim anschliessenden gemeinsamen Mittagessen erzählten mir die Kinder, dass sie sehr überrascht waren, wie viele ihrer Landsleute professionell singen und musizieren können und somit die Musik als Ausdrucksform kennengelernt haben. In den nächsten Monaten sind zudem Kunst-Workshops geplant. Künstlerinnen und Künstler aus Honduras werden einen Einblick in ihre Arbeit vermitteln und geben den Kindern die Möglichkeit, auch diese Form kennenzulernen. Im (Schul-) Alltag haben solche Themen leider zu wenig Platz oder sind nur ganz wenigen Schülern vorbehalten. Ich freue mich jeweils sehr, wenn die Kinder die neuen Projekte kennenlernen, ausprobieren und vor allem sich entfalten können.