28. September – Das tägliche Leben in Honduras

Es ist September, die Präsidentschaftswahlen rücken näher und man merkt die steigende Anspannung hier in Honduras. Auch in unserem Dorf werden Wahlkampagnen durchgeführt, ebenso werden häufig „Bolsas Solidarias“ verteilt – das ist ein Sack voll mit Lebensmitteln, welche an die Bevölkerung vergeben werden mit dem Logo der jeweiligen Partei drauf. Und es werden Dächern von Familien repariert, die wenig Geld haben. Es werden Strassen in Stand gesetzt, fleissig gegen Covid geimpft – letzte Woche kamen sogar drei Frauen mit einem T-shirt der momentanen regierenden Partei und haben alte Glühbirnen ersetzt. So erhoffen sich die Politiker mehr Wahlstimmen für ihre Partei zu gewinnen.

Meine Nachbarin hat mir letzte Woche erzählt, dass sie nicht mehr auf der Liste der „Bolsas Solidarias“ steht, weil sie letztes Mal nicht wählen ging. Ihre Erzählung lässt darauf schliessen, dass nur diejenigen Personen Unterstützung bekommen, welche ihre Stimme bei den letzten Wahlen der „richtigen“ Partei gegeben haben. Ich kenne viele Personen, die ihre Wahlstimme der momentan an der Macht stehende Partei geben werden, damit sie nicht aus der „Liste für Unterstützung“ gestrichen werden. Traurig zu sehen, wie sich die Politiker und Politikerinnen die Armut der Menschen zu Nutze machen.

Übergabe einer „bolsa solidaria“

Und zur selben Zeit läuft das Gesundheitssystem nach wie vor am Limit. Sara*, eine junge Frau vom Dorf, hat Anfang September ihre Zwillinge geboren. Sie hat mich in der Nacht angerufen, da sie starke Wehen hatte – sie war erst Anfang des siebten Monates. Wir haben sie ins Spital gefahren, anscheinend jedoch ins „Falsche“, wie sie mir nachher erzählt hatte: nachdem sie eine Stunde warten musste, hat man ihr mitgeteilt, dass sie ins zentrale Spital gehen müsse, da es eine Risikogeburt sein wird. Jedoch waren alle Ambulanzen besetzt, so musste die arme Frau unter Wehen mit einem Taxi ins andere Spital fahren. Dort angekommen, erblickte bald ihr erstes Kind das Licht der Welt. Sein kleiner Bruder steckte jedoch im Geburtskanal fest und ein Kaiserschnitt wurde nötig. Leider kam der Kaiserschnitt zu spät – denn alle Operationssäle waren voll und Sara musste erneut warten. Wie lange sie warten musste, kann sie nicht sagen, denn sie verlor jegliches Zeitgefühl. Zum Zeitpunkt des Kaiserschnittes konnte sie ihr kleiner Sohn nur noch tot in die Arme nehmen. Der erste Junge musste noch ein Monat im Spital bleiben, da er eine Frühgeburt war. Dies stimmt mich sehr traurig – doch leider ist dies nur ein Schicksal von unzähligen, welche für uns kaum vorstellbar sind. Wieso wird so viel Geld in Wahlkampagnen investiert, wenn doch die Spitäler die Hilfe viel nötiger hätten? Diese Frage stellen sich viele Honduranerinnen und Honduraner.

Es gibt Neuigkeiten aus dem Bildungssystem: In unserem Dorf erhalten die Kinder nun einmal pro Woche Präsenz-Unterricht. Ich habe mich zuerst sehr gefreut über diese Neuigkeit, ebenso die Kinder. Doch dann haben wir erfahren, dass es einmal pro Woche für EINE Stunde sein wird. Die Logik dahinter verstehen viele von uns nicht, denn wie kann den Kindern in einer Stunde etwas beigebracht werden?

Viele von euch haben mich gefragt, was wir eigentlich genau in der Bibliothek machen. Und gerne erläutere ich ein wenig mehr: Bis jetzt haben wir an zwei Nachmittagen geöffnet, bald werden wir noch an einem dritten Nachmittag öffnen.

Mittwochs bieten wir Nachhilfestunden an, bei welchen uns eine lokale Lehrerin unterstützt. Mathematik und Grammatik sind vor allem Schwerpunkt. Nach der Nachhilfe bieten wir jeweils noch einen Moment an, damit die Kinder Bücher lesen und / oder anschauen können. Viele der Kinder sind fasziniert von den Büchern!

Donnerstags ist Spiel-Nachmittag  In den drei Stunden, in welchen wir geöffnet haben, herrscht oft ein lustiges Durcheinander. Mit einigen malen oder basteln wir, die anderen üben am Computer, wieder andere setzen ein Puzzle zusammen, oder sie spielen mit den Autos und Puppen. Oft bemerke ich, wie ich Ordnung in das Ganze rein bringen möchte, doch wir müssen uns dann immer bewusst machen, dass dies die einzigen drei Stunden der Kinder sind, wo sie einfach Kinder sein und spielen dürfen. Was mich immer wieder erfreut, ist die Anzahl der Kinder: Es sind immer zwischen 20 und 25! Da das Angebot sehr geschätzt und rege genutzt wird, planen wir einen dritten Nachmittag, an welchem die älteren Kinder den Umgang mit dem Computer erlernen können. Wir freuen uns darauf!

*Name geändert