Juli – ein beliebter Sommermonat in Europa. Wir hier in Honduras freuen uns über den Regen, welcher (gegen alle Erwartungen) doch regelmässig kommt. Zumindest bei uns in der Gegend. In anderen Regionen von Honduras hat es diesen Monat kaum geregnet, was die Diversität in diesem Land wieder einmal deutlich zeigt. Und ja, jetzt schreibe ich schon wieder über den Regen 😊 Seit ich in Honduras wohne, ist mir viel mehr bewusst, welchen Einfluss die Natur auf das tägliche Leben der Menschen haben kann. Und wie wertvoll das Wasser ist…
In Honduras diskutieren die Politikerinnen und Politiker momentan über eine Änderung in der Bildungslandschaft. Letztes Jahr wurde vom Kongress bestimmt, dass sexuelle Aufklärung fix im Lehrplan verankert wird und über die Verschiedenheiten der Sexualität gesprochen werden darf (sehr traurig, dass dieses Thema im Jahr 2023 noch ein Diskussionspunkt sein muss …). Nun, da es um die Umsetzung geht, melden sich die Kirchen mit starker Kritik und wehren sich gegen diesen Entscheid. Letzte Woche ging es dann soweit, dass sie sogar zu einem Protest-Marsch in Tegucigalpa aufgerufen haben, an welchem mehrere Hundert Menschen teilgenommen haben. An diesem Beispiel wird die Macht der religiösen Institutionen wieder klar sichtbar, und es geht sogar soweit, dass nun jetzt auch die Regierung diese Änderung wieder in Frage und sich auf die Seite der Kirchen stellt. Mir wurde erklärt, dass sich die Regierung schlecht leisten kann, sich gegen die Kirchen zu stellen, denn wie oben erwähnt, sie haben einen extremen Einfluss auch auf politischer Ebene.
Ein anderes Thema, welches im täglichen Leben hier in Honduras immer wieder präsent ist, ist der “American Dream” (amerikanischer Traum). Für viele Honduranerinnen und Honduraner erscheint ihre momentane Situation hier aussichtlos und eine mögliche, lukrative Lösung sehen sie in Amerika. Fast alle Familien hier in Honduras haben mindestens jemand aus ihrem Bekanntenkreis in den Vereinigten Staaten, die ohne Visum die Grenze überschritten hat und undokumentiert in den USA lebt. Anfang Monat wurde ein Sohn unserer Nachbarin, welcher als Migrant in den USA ist, zurück geschickt, da er ein “Problem” hatte mit den dortigen Behörden. Er war 2 Monate im Migranten-Gefängnis und wurde dann mit dem Flugzeug nach Honduras geflogen. In Honduras angekommen, kam er seine Familie besuchen und machte sich nach ein paar Tagen erneut auf den Weg in die USA. Er habe diesen Weg schon mehrmals gemacht und kenne die Punkte, an denen die Grenzen überquert werden könne. Nach 16 Tagen war er bereits wieder in den USA! Dieses Beispiel ist nur eines von Tausenden Migrantinnen und Migranten, welche in den USA leben… Sie arbeiten viele Stunden, verdienen im Verhältnis wenig Geld, werden oft schlecht behandelt, sind weit entfernt von ihrer Familie, und doch möchten sie lieber dort sein als hier in Honduras…
Eine andere Art der Migration ist die sogenannte “Moderne Form der Sklaverei”, wie es von vielen hier in Honduras genannt wird. Amerikanische Firmen, meistens Baufirmen, holen sich Arbeitskräfte von Honduras und anderen Ländern in Zentralamerika. Letzte Woche gingen drei Männern aus unserem Dorf in die USA, um sechs Monate lang in einer dieser Firmen zu arbeiten. Ich hatte die Möglichkeit, kurz vor ihrem Abflug mit ihnen zu sprechen und war sehr überrascht: Sie wussten weder wohin sie genau gehen werden, wie sie wohnen würden, wie viel sie verdienen werden, noch welche Arbeit sie genau verrichten werden. Sie wussten lediglich, dass sie bei einer Baufirma für 6 Monate arbeiten und danach zurückkehren werden. Sie mussten die Visa-Kosten sowie den Flug vorbezahlen und werden es dann mit dem Lohn zurückbezahlt erhalten (anscheinend). Trotz dieser Ungewissheit wie ihr Leben in den nächsten sechs Monaten aussehen wird, waren alle sehr freudig und voller Motivation, denn eines ist klar: Sie werden viel mehr verdienen als hier in Honduras. Mit dieser Aussicht wird sogar in Kauf genommen, dass einer von ihnen seinen drei Wochen alten Sohn zurück lässt.
Wenn ich solche Geschichten höre, gehe ich jedes Mal mit bewussteren Augen und bestärkt wieder in unsere Bibliothek, wo wir den Kindern und Jugendlichen eine andere Form des Denkens vorleben dürfen.
Beispielsweise versuchen wir dies mit unseren neuen Programmen: Letzten Monat besuchten wir mit den jüngeren Kindern ein Kinderkonzert in Tegucigalpa. Beim anschliessenden gemeinsamen Mittagessen erzählten mir die Kinder, dass sie sehr überrascht waren, wie viele ihrer Landsleute professionell singen und musizieren können und somit die Musik als Ausdrucksform kennengelernt haben. In den nächsten Monaten sind zudem Kunst-Workshops geplant. Künstlerinnen und Künstler aus Honduras werden einen Einblick in ihre Arbeit vermitteln und geben den Kindern die Möglichkeit, auch diese Form kennenzulernen. Im (Schul-) Alltag haben solche Themen leider zu wenig Platz oder sind nur ganz wenigen Schülern vorbehalten. Ich freue mich jeweils sehr, wenn die Kinder die neuen Projekte kennenlernen, ausprobieren und vor allem sich entfalten können.