31. Juli – Das tägliche Leben in Honduras

Juli – ein beliebter Sommermonat in Europa. Wir hier in Honduras freuen uns über den Regen, welcher (gegen alle Erwartungen) doch regelmässig kommt. Zumindest bei uns in der Gegend. In anderen Regionen von Honduras hat es diesen Monat kaum geregnet, was die Diversität in diesem Land wieder einmal deutlich zeigt. Und ja, jetzt schreibe ich schon wieder über den Regen 😊 Seit ich in Honduras wohne, ist mir viel mehr bewusst, welchen Einfluss die Natur auf das tägliche Leben der Menschen haben kann. Und wie wertvoll das Wasser ist…

In Honduras diskutieren die Politikerinnen und Politiker momentan über eine Änderung in der Bildungslandschaft. Letztes Jahr wurde vom Kongress bestimmt, dass sexuelle Aufklärung fix im Lehrplan verankert wird und über die Verschiedenheiten der Sexualität gesprochen werden darf (sehr traurig, dass dieses Thema im Jahr 2023 noch ein Diskussionspunkt sein muss …). Nun, da es um die Umsetzung geht, melden sich die Kirchen mit starker Kritik und wehren sich gegen diesen Entscheid. Letzte Woche ging es dann soweit, dass sie sogar zu einem Protest-Marsch in Tegucigalpa aufgerufen haben, an welchem mehrere Hundert Menschen teilgenommen haben. An diesem Beispiel wird die Macht der religiösen Institutionen wieder klar sichtbar, und es geht sogar soweit, dass nun jetzt auch die Regierung diese Änderung wieder in Frage und sich auf die Seite der Kirchen stellt. Mir wurde erklärt, dass sich die Regierung schlecht leisten kann, sich gegen die Kirchen zu stellen, denn wie oben erwähnt, sie haben einen extremen Einfluss auch auf politischer Ebene.

Ein anderes Thema, welches im täglichen Leben hier in Honduras immer wieder präsent ist, ist der “American Dream” (amerikanischer Traum). Für viele Honduranerinnen und Honduraner erscheint ihre momentane Situation hier aussichtlos und eine mögliche, lukrative Lösung sehen sie in Amerika. Fast alle Familien hier in Honduras haben mindestens jemand aus ihrem Bekanntenkreis in den Vereinigten Staaten, die ohne Visum die Grenze überschritten hat und undokumentiert in den USA lebt. Anfang Monat wurde ein Sohn unserer Nachbarin, welcher als Migrant in den USA ist, zurück geschickt, da er ein “Problem” hatte mit den dortigen Behörden. Er war 2 Monate im Migranten-Gefängnis und wurde dann mit dem Flugzeug nach Honduras geflogen. In Honduras angekommen, kam er seine Familie besuchen und machte sich nach ein paar Tagen erneut auf den Weg in die USA. Er habe diesen Weg schon mehrmals gemacht und kenne die Punkte, an denen die Grenzen überquert werden könne. Nach 16 Tagen war er bereits wieder in den USA! Dieses Beispiel ist nur eines von Tausenden Migrantinnen und Migranten, welche in den USA leben… Sie arbeiten viele Stunden, verdienen im Verhältnis wenig Geld, werden oft schlecht behandelt, sind weit entfernt von ihrer Familie, und doch möchten sie lieber dort sein als hier in Honduras…

Eine andere Art der Migration ist die sogenannte “Moderne Form der Sklaverei”, wie es von vielen hier in Honduras genannt wird. Amerikanische Firmen, meistens Baufirmen, holen sich Arbeitskräfte von Honduras und anderen Ländern in Zentralamerika. Letzte Woche gingen drei Männern aus unserem Dorf in die USA, um sechs Monate lang in einer dieser Firmen zu arbeiten. Ich hatte die Möglichkeit, kurz vor ihrem Abflug mit ihnen zu sprechen und war sehr überrascht: Sie wussten weder wohin sie genau gehen werden, wie sie wohnen würden, wie viel sie verdienen werden, noch welche Arbeit sie genau verrichten werden. Sie wussten lediglich, dass sie bei einer Baufirma für 6 Monate arbeiten und danach zurückkehren werden. Sie mussten die Visa-Kosten sowie den Flug vorbezahlen und werden es dann mit dem Lohn zurückbezahlt erhalten (anscheinend). Trotz dieser Ungewissheit wie ihr Leben in den nächsten sechs Monaten aussehen wird, waren alle sehr freudig und voller Motivation, denn eines ist klar: Sie werden viel mehr verdienen als hier in Honduras. Mit dieser Aussicht wird sogar in Kauf genommen, dass einer von ihnen seinen drei Wochen alten Sohn zurück lässt.

Wenn ich solche Geschichten höre, gehe ich jedes Mal mit bewussteren Augen und bestärkt wieder in unsere Bibliothek, wo wir den Kindern und Jugendlichen eine andere Form des Denkens vorleben dürfen.

Beispielsweise versuchen wir dies mit unseren neuen Programmen: Letzten Monat besuchten wir mit den jüngeren Kindern ein Kinderkonzert in Tegucigalpa. Beim anschliessenden gemeinsamen Mittagessen erzählten mir die Kinder, dass sie sehr überrascht waren, wie viele ihrer Landsleute professionell singen und musizieren können und somit die Musik als Ausdrucksform kennengelernt haben. In den nächsten Monaten sind zudem Kunst-Workshops geplant. Künstlerinnen und Künstler aus Honduras werden einen Einblick in ihre Arbeit vermitteln und geben den Kindern die Möglichkeit, auch diese Form kennenzulernen. Im (Schul-) Alltag haben solche Themen leider zu wenig Platz oder sind nur ganz wenigen Schülern vorbehalten. Ich freue mich jeweils sehr, wenn die Kinder die neuen Projekte kennenlernen, ausprobieren und vor allem sich entfalten können.

3. Juli – Das tägliche Leben in Honduras

Mitte Mai hat es endlich begonnen, zu regnen und somit sind wir in der Regenzeit angekommen. Dies bedeutet für Honduras, dass es “eigentlich” fast jeden Tag etwas regnen sollte, doch auch der Klimawandel betrifft diese Region sehr. Im Monat Mai gab es nur wenige Regentage, jetzt im Juni etwas mehr. Doch ist es immer noch zu wenig Wasser, welches auf die Böden fällt. Die Prognostik für die kommenden Monate sagen leider auch nicht viel Regen vorher; viele der Landwirte und auch die Bevölkerung ist besorgt…

Die besorgniserregende Wassersituation gibt in mehreren Landesteilen Probleme: Eine gute Kollegin, welche in Tegucigalpa wohnt, hat mir vor ein paar Wochen erzählt, dass nun auch bei ihnen im Wohnviertel das Wasser nur ein Mal pro Monat fliesst! Der Rest des Monates müssen sie das Wasser kaufen. Vor ein paar Jahren hatte dieses Wohnviertel noch jeden Tag, auch in der Trockenzeit, fliessendes Wasser. Und auch im Westen von Honduras gibt es viele Probleme mit dem Wasser. Meine Schwägerin erzählte mir, dass bei ihnen im Spital in Gracias, Lempira, nur ein Mal pro Woche das Wasser angestellt wird! Viele Operationen werden abgesagt oder immer wieder verschoben, da es einfach kein Wasser hat! Es ist sehr besorgniserregend zu sehen, wie viele öffentliche Einrichtungen grosse Probleme mit der Wasserversorgung haben.

Spitalangestellte sammeln Wasser sammeln, um die Hygiene «sicher zu stellen».

Viele Personen versuchen also verständlicherweise, das Spital so gut wie möglich zu meiden. Dies aber nicht nur wegen der Wasser- und somit Hygiene-Situation, sondern oft auch, weil das Geld für den Transport nicht reicht. Ein Jugendlicher aus der Bibliothek hatte bis vor kurzem einen Gips, da er sich das Handgelenk gebrochen hat. Als er letzte Woche ohne Gips in die Bibliothek kam, fragte ich ihn ganz erfreut, was den der Arzt über die Heilung des Handgelenkes gemeint hat. Der Junge schaute mich mit grossen Augen an und begann zu lachen. Seine Mutter habe den Gips mit einem scharfen Messer entfernt; wieso sollten sie Geld für den Transport hin zum Spital ausgeben, nur um seinen Gips entfernen zu lassen? Ich musste zuerst leer schlucken, da es ein sehr ungewöhnlicher Vorgang ist, einen Gips zu entfernen. Und doch zeigte es mir wieder einmal mehr auf, dass für viele Familien das Geld so knapp ist, dass es nicht für den Transport zum Spital eingesetzt werden kann. Prioritäten werden gesetzt…

Überrascht und vor allem erstaunt war ich vor ein paar Wochen auch, als ich erfahren habe, dass ein Nachbar von uns weder schreiben noch lesen kann. Dies ist zwar (leider) hier in Honduras keine Seltenheit, doch mein Erstaunen war deswegen, weil unser Nachbar ein hervorragender Bauleiter ist. Er hat bei uns schon viele Sachen gebaut, unter anderem auch eine Treppe, was sehr viel mathematisches Verständnis erfordert! Unser Nachbar hat die Schule nur bis in die 2. Klasse besucht, danach ging er mit seinem Vater arbeiten und hat so die wichtigen Sachen des Bauens erlernt. Für mich sind solche Menschen sehr bewundernswert, sie haben so viele Fähigkeiten, welche nicht im typischen Schulsystem erlernt worden sind.

In unserer Bibliothek geht es munter weiter mit Nachhilfe und Bastel- und Spielnachmittag. Da meine Eltern für einen Monat bei uns waren, haben die Kinder mit viel Freude von meinem Vater gelernt, Papier-Hüte und –Flugzeuge zu bauen! Und die Puzzles sind nach wie vor eine beliebte Beschäftigung.

Ein Highlight für unsere Jugendliche war ein Museums-Besuch, welchen wir im Mai durchgeführt haben. Sie waren noch nie in einem Museum gewesen, für viele der Kindern und Jugendlichen hier im Dorf gibt keinen Zugang zu etwas Kulturellem, ob zu Musik oder Kunst. In der Schule werden keine solche Fächer angeboten. Mit grossem Interesse haben sie die Ausstellungen bestaunt und es war ein gelungener Kulturtag 😊