Ein neuer Monat – und eine Änderung bezüglich der Ausgangssperre! Seit zwei Wochen dürfen wir wieder einmal pro Woche raus. Obwohl immer noch die Ausgangssperre besteht, ist diese Änderung doch für viele ein Aufatmen. Der Wirtschaftssektor hat seit längerem Druck ausgeübt, damit die Bevölkerung mehr zirkulieren darf, da 6 Monate mit fast totaler Ausgangssperre eine sehr lange Zeit ist. Es haben mehr Geschäfte und Restaurants wieder geöffnet , obwohl die meisten zu den internationalen Marken gehören: Zara, McDonald, BurgerKing, PizzaHut, Pollo Campesino, etc. Die meisten kleinen, oft lokalen Geschäfte, sind weiterhin geschlossen.
Ebenfalls nimmt der öffentliche Verkehr langsam wieder seinen Betrieb auf. Dieser Sektor ist einer unter vielen, welcher unter der Ausgangssperre am meisten gelitten hat. Die Taxifahrer und Buschauffeure durften während mehr als fünf Monate nicht arbeiten. Das hatte zur Folge, dass viele Personen grosse Mühe hatten, ihre Arbeit zu erreichen, da der öffentliche Verkehr völlig lahm gelegt worden ist. Dieser Sektor hat viele, oft leider erfolglose, Demonstrationen hinter sich, in denen sie die Regierung um Erlaubnis baten, ihre Arbeit wieder aufnehmen zu können. Nun, seit ca. zwei Wochen haben einige Busse und Taxis ihre Arbeit aufgenommen. Und dies ganz erfinderisch: Taxis haben selbst-konstruierte Plastik-Wände eingebaut, so dass jeder Passagier quasi seine eigene Kabine hat. Die Busse dürfen nur einen Passagier pro Zweier-Sitz platzieren, was leider zur Folge hat, dass sich der Fahrpreis extrem erhöht. Bei uns im Dorf kostete der Bus in die Hauptstadt vor der Pandemie 30 Honduranische Lempiras (ca. 1.20 CHF). Jetzt kostet er 60 Honduranische Lempiras, also eine Erhöhung um das Doppelte! Dies ist für viele Honduranerinnen und Honduraner sehr schwierig, da viele ihre Arbeit verloren haben und das Geld sonst schon knapp ist. Gerade gestern hatte ich ein trauriges Gespräch mit zwei Nachbarinnen. Sie erzählten mir, dass ihren Ehemännern fristlos gekündigt wurde. Die Abfindungen, die allen gekündigten Arbeitnehmern zustehen, werden meistens nicht ausbezahlt. Und so stehen zwei Familienväter von einem auf den anderen Tag ohne Arbeit da…
Während sich viele um ihre finanzielle Situation sorgen, erschrecken sich andere über ein Hämatom (Bluterguss). Vor ein paar Wochen kam eine junge Mutter zu mir und hat mir ihr Hämatom an ihrem Oberschenkel gezeigt. Sie sei umgefallen und habe sich den Oberschenkel gestossen, so dass sich ein Hämatom gebildet hat. Es war nicht weiter schlimm, ich habe ihr eine Creme verabreicht und ihr weitere Tipps gegeben. Als ich das Hämatom näher betrachtet habe, war ich etwas irritiert: Ganz viele kleine Stiche waren zu sehen. Auf Nachfrage hat mir die Mutter dann erzählt, dass sie letzte Nacht so erschrocken gewesen war, dass sie versucht hat, mit einer kleinen Nadel „Löcher“ in das Hämatom zu stechen, damit das Blut „raus fliessen“ kann. Ich war sehr erstaunt über ihren Gedankengang und war froh, als sie meinen Rat, sich nicht mehr mit einer Nadel dort hinein zu stechen, angenommen hat.
Mein erstaunter Gesichtsausdruck kam letzte Woche nochmals zur Geltung: Ein junger Nachbarsjunge kam mit einem blutenden Knie vorbei. Er sei mit dem Fahrrad umgefallen und hat sich eine tiefe Wunde zugezogen. Es war anscheinend nicht allzu schmerzhaft für ihn, doch als ich die Wunde näher betrachtete, kam mir ein unangenehmer Geruch von Urin entgegen. Ich dachte zuerst, er habe sich in die Hose gepinkelt, aber dann habe ich bemerkt, dass die Wunde nach Urin riecht! Der Nachbarsjunge hat wahrscheinlich meinen Gesichtsausdruck bemerkt, denn er hat mir lachend erzählt, dass soeben sein Cousin über seine Wunde gepinkelt hat, da sie kein Wasser zum Reinigen zur Verfügung hatten und der Urin sei doch sauber. Ich konnte mir ein Lachen auch nicht verkneifen, aber habe sie gebeten, beim nächsten Mal keinen Urin zu verwenden. Die Wunde hat sich (wen erstaunt es) infiziert und heilt erst jetzt langsam ab.
So sind meine Tage hier immer sehr abwechslungsreich und oft amüsant. Unsere Bibliothek wird nach wie vor rege besucht. Mehr und mehr kommen auch junge Müttern in die Bibliothek; letzte Woche waren sie den ganzen Nachmittag begeistert am UNO spielen, welches wir ihnen zuvor beibrachten 🙂