30. September – Das tägliche Leben in Honduras

Diese zwei Monate, August und September, haben mir das Schreiben schwer gemacht 😊 Dieser Text wurde ungefähr zehn Mal neu geschrieben, denn auf politischer Ebene läuft so viel, dass mein Geschriebenes am nächsten Tag schon wieder nicht mehr aktuell war. Dies reflektiert die politische Situation des Landes sehr gut; es ist sehr schnell-lebig und unsicher. Heute entscheiden die Politiker und Politikerinnen etwas – morgen gibt es einen Protestmarsch dazu und übermorgen wird die Entscheidung wieder verworfen.

In den letzten zwei Monaten gab es verschiedene Protestmärsche, welche das tägliche Leben am jeweiligen Tag stillgelegt haben. Die Gegenpartei organisierte einen Protest-Marsch, um die aktuelle Partei zu mehr Aktionen aufzufordern. Wenig später organisierte diese aktuelle Partei einen Marsch, um sich mit der Präsidentin zu solidarisieren. Solche Märsche legen die ganze Stadt lahm, mehrere Strassen werden gesperrt und es herrscht ein enormes Verkehrschaos. Unsere Nachbarin erzählte mir, dass sie auf dem Heimweg drei Stunden im Verkehr stand und erst um 21 Uhr zu Hause angekommen ist.

Ein grosses Thema ist momentan die Wahl des Generalstaatsanwaltes hier in Honduras. Seit Wochen streiten sich die Politiker und Politikerinnen über diese Position, welche ein sehr wichtiger Teil des Gerechtigkeitssystem des Landes darstellt. Es gibt mehrere Kandidaten und Kandidatinnen, darunter auch einige Qualifizierte und Ehrliche. Gewählt wird theoretisch vom Kongress, doch wie leider so oft, haben auch hier die grossen Unternehmer des Landes einen mächtigen Einfluss auf diese Wahl. Es ist bekannt, dass ungefähr zehn Unternehmer-Familien eine grosse Macht hier in Honduras haben und diese Familien entscheiden mit über diese Wahl der Generalstaatsanwaltes – natürlich nicht öffentlich, sondern im Hintergrund. Diese Familien haben ein grosses Interesse daran, dass die Wahl auf eine Person fällt, welche mit ihnen im “Einklang” steht. Warum? Diese Frage ist einfach zu beantworten: es liegen mehrere Beweise vor, dass diese Familien stark korrupt und an vielen Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, und deswegen wird die Wahl genau beobachtet. Mittlerweile ist es so weit gekommen, dass die Wahl auf Eis gelegt worden ist und niemand weiss wirklich, wie und wann es weiter gehen soll.

Der Monat September ist immer von einem grossen Datum gekennzeichnet: der 15. September – Dia de la Independencia (Unabhängigkeitstag). Es ist einer der wichtigsten Tage hier in Honduras und auch die Kinder aus unserem Dorf bereiten sich sehr auf diesen Tag vor. Sie erzählten mir bereits im August, dass sie nun jeden Tag zwei Lektionen lang in der Musikgruppe üben werden, damit sie gut auf den Umzug am 15. September vorbereitet sind. Die Kinder übten also ab August jeden Tag für 2 Lektionen, das heisst, dass sie nur 1 Lektion Schule hatten pro Tag. Im September übten sie sogar den ganzen Morgen und erhielten somit die erste Hälfte des Septembers gar keinen Unterricht! Dies erschreckte mich sehr, doch was mich noch mehr erstaunte, waren die Ausgaben für diesen Umzug. Die Kinder müssen eine bestimmte Uniform tragen, um am Umzug teilnehmen zu können (beinhaltet Kostüm, Schuhe, Accessoire). Das ganze Outfit kostet die Eltern 3’000 Lempiras (ungefähr 120 CHF)! Bei einem Durchschnittsmonatslohn von ca. 10’000 Lempiras ist das gut ein Drittel! Oft werden sogar Kredite aufgenommen, damit die Kinder an diesem speziellen Tag am Umzug teilnehmen können.

Quelle: https://hondudiario.com/nacionales/estudiantes-de-primaria-rinden-honores-a-la-patria-con-desfiles-previo-al-15-de-septiembre/

In unserer Bibliothek wurden in den letzten zwei Monaten viele Aktivitäten durchgeführt. Der mittlerweile bekannte Kleiderbazar wurde rege besucht und im August durften wir mit einem neuen Projekt starten: Um den Kindern das Kreative näher zu bringen, ist bis Ende Jahr monatlich ein Kunst-Workshop geplant. Im August starteten wir mit einem klassischem Zeichnungsworkshop und diesen Monat hatten wir einen Keramiktag. Es war eindrücklich zu sehen, wie viele der Kinder und Jugendliche begeistert waren und mit voller Motivation mitgemacht haben. Da am 10. September hier in Honduras der “Dia del Niño” (Kindertag) gefeiert wird, haben wir in der Bibliothek eine kleine Feier mit Fruchtsalat, leckerem Eis und einer Piñata geniessen können.

Ein Gedanke zu „30. September – Das tägliche Leben in Honduras

  1. Vielen Dank nochmals für diesen Überblick! Ich erinnere mich an meine Zeiten, als am 15. September es früher nicht so streng war wie heute. Es war keine Pflicht, daran teilzunehmen; wer jedoch am Umzug teilnehmen wollte, konnte es tun. Dadurch gab es natürlich Familien, die gerne neue Kleidung für ihre Kinder gekauft haben, damit sie gut aussahen. Das waren damals die Gedanken. Man konnte wählen, ob man marschierte oder ein Instrument spielte. Ich war immer einer der besten Schüler ganz vorne in der Reihe. Es war schön, aber auch sehr anstrengend.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert