3. November – Das tägliche Leben in Honduras

Und schon ist der Monat Oktober vorbei, und mit ihm der siebte Monat mit Ausgangssperre in Honduras. Die Regelung ist immer noch gleich: wir dürfen einmal pro Woche raus und Maskenpflicht herrscht nach wie vor. Einige Personen sehen die Maske nun als Mode-Accessoire, wie mir meine Nachbarin erzählt. Sie hat verschiedene Stoffmasken zu Hause und je nachdem, welche Kleider sie trägt, wählt sie dazu die passende Stoffmaske aus. Masken sind hier also schon fest in den täglichen Alltag integriert und es ist schon fast „normal“.

Die Schulen sind weiterhin geschlossen. Die privaten Schulen unterrichten per Internet. Die öffentlichen Schulen sollten eigentlich die Hausaufgaben per Whatsapp verschicken – das machen aber nur die wenigsten Lehrerinnen und Lehrer. Dazu kommt noch, dass nicht alle Eltern ein Telefon besitzen, welches Whatsapp-tauglich ist. Und falls sie ein solches Handy besitzen, haben sie nicht immer die finanziellen Ressourcen, Internet-Daten zu kaufen und die grossen Dateien herunter zu laden. Anscheinend wird das erste halbe Jahr vom 2021 gleich verlaufen. Das heisst also, dass sehr wahrscheinlich die meisten Kinder über ein Jahr lang keine „physische“ Schule besuchen werden… Besorgniserregend ist dann, wie viele Kinder und vor allem Jugendliche danach wieder in die Schule zurück gehen werden?

Ein weiteres trauriges und sehr besorgniserregendes Ereignis hat sich Anfang Oktober hier in Honduras ereignet. Eine Karawane mit tausenden von Honduranerinnen und Honduraner, darunter auch Kinder und Jugendliche, hat Honduras verlassen mit dem Ziel, in die USA zu gehen – auf der Suche nach einem besseren Leben. Sie nehmen diesen gefährlichen Weg zu Fuss auf sich, um über Guatemala nach Mexiko zu gelangen und dort die Grenze in die USA zu überqueren. Für ganz viele von ihnen ist es aus ihrer Sicht die einzige Möglichkeit auf ein besseres Leben. Die Bilder, auf welchen die Personen, Kindern und Jugendliche zu sehen sind, sind herzzerreissend. Ihr Gepäck ist oft nicht mehr als ein einfacher Rucksack…

Quelle: https://i2.wp.com/www.diariocolatino.com/wp-content/uploads/2020/01/NUEVACARAVANA2020.jpg?ssl=1

Diese Karawanen haben auch einen Folgeeffekt für viele Honduranerinnen und Honduraner. Letzte Woche hatte ich ein langes Gespräch mit dem Mann, der als Führungsperson unseres Dorfes gilt. Er ist ein sehr gut ausgebildeter und junger Mann mit vielen Qualitäten. Er arbeitet als Assistent in einer kleinen Firma, verdient schlecht und oft kommt der Lohn zwei Monate verzögert. Inspiriert von der Karawane, überlegt auch er sich, in die USA zu gehen, um eine bessere Arbeit und vor allem Lohn zu finden, damit er seinen Töchtern eine gute Ausbildung und eine bessere Zukunft schenken kann. Es ist traurig zu sehen, dass so viele Personen hier in Honduras keine gerechte Arbeit finden, obwohl sie sehr qualifiziert sind…

Und dann durfte ich letzte Woche mit einem Jungen hier vom Dorf in die Gesundheitsklinik fahren. Er hat sich den Kopf an einem hervorstehenden Blech gestossen und sich eine Schnittwunde zugezogen, welche genäht werden musste. Als wir in der Klinik ankamen und sich der Arzt die Wunde angeschaut hatte, reichte er uns ein Rezept in die Hand. Die Mutter und ich waren sehr erstaunt, als wir lesen konnte, dass wir den Näh-Faden kaufen gehen mussten sowie die Tetanus-Impfung. Auf meine Nachfrage hin erklärte uns der Arzt, dass es in der ganzen Klinik keinen Näh-Faden gäbe und er schon mehr als 2 Monate auf seine Bestellung wartete. So gingen die Mutter und ich in die nächste Apotheke, die drei Autofahrt-Minuten entfernt war, kauften den Faden und die Impfung…

Jeweils erfreulich sind die Erlebnisse in der Bibliothek. Gestern hatten wir die Hände bemalt und so Händeabdrücke gemacht, was für die Kinder und sogar für die Mütter ein riesiges Erlebnis war. ☺ Dank grosszügigen Spenden von vielen lieben Personen konnten wir das Angebot unserer Bibliothek stark erweitern. Es ist sehr schön, die leuchtenden Augen der Kinder und Jugendlichen zu sehen, wenn wir verkünden, dass neue Bücher eingetroffen sind!

6. Oktober 2020 – Das tägliche Leben in Honduras

Ein neuer Monat – und eine Änderung bezüglich der Ausgangssperre! Seit zwei Wochen dürfen wir wieder einmal pro Woche raus. Obwohl immer noch die Ausgangssperre besteht, ist diese Änderung doch für viele ein Aufatmen. Der Wirtschaftssektor hat seit längerem Druck ausgeübt, damit die Bevölkerung mehr zirkulieren darf, da 6 Monate mit fast totaler Ausgangssperre eine sehr lange Zeit ist. Es haben mehr Geschäfte und Restaurants wieder geöffnet , obwohl die meisten zu den internationalen Marken gehören: Zara, McDonald, BurgerKing, PizzaHut, Pollo Campesino, etc. Die meisten kleinen, oft lokalen Geschäfte, sind weiterhin geschlossen.

Ebenfalls nimmt der öffentliche Verkehr langsam wieder seinen Betrieb auf. Dieser Sektor ist einer unter vielen, welcher unter der Ausgangssperre am meisten gelitten hat. Die Taxifahrer und Buschauffeure durften während mehr als fünf Monate nicht arbeiten. Das hatte zur Folge, dass viele Personen grosse Mühe hatten, ihre Arbeit zu erreichen, da der öffentliche Verkehr völlig lahm gelegt worden ist. Dieser Sektor hat viele, oft leider erfolglose, Demonstrationen hinter sich, in denen sie die Regierung um Erlaubnis baten, ihre Arbeit wieder aufnehmen zu können. Nun, seit ca. zwei Wochen haben einige Busse und Taxis ihre Arbeit aufgenommen. Und dies ganz erfinderisch: Taxis haben selbst-konstruierte Plastik-Wände eingebaut, so dass jeder Passagier quasi seine eigene Kabine hat. Die Busse dürfen nur einen Passagier pro Zweier-Sitz platzieren, was leider zur Folge hat, dass sich der Fahrpreis extrem erhöht. Bei uns im Dorf kostete der Bus in die Hauptstadt vor der Pandemie 30 Honduranische Lempiras (ca. 1.20 CHF). Jetzt kostet er 60 Honduranische Lempiras, also eine Erhöhung um das Doppelte! Dies ist für viele Honduranerinnen und Honduraner sehr schwierig, da viele ihre Arbeit verloren haben und das Geld sonst schon knapp ist. Gerade gestern hatte ich ein trauriges Gespräch mit zwei Nachbarinnen. Sie erzählten mir, dass ihren Ehemännern fristlos gekündigt wurde. Die Abfindungen, die allen gekündigten Arbeitnehmern zustehen, werden meistens nicht ausbezahlt. Und so stehen zwei Familienväter von einem auf den anderen Tag ohne Arbeit da…

Corona-Taxi

Während sich viele um ihre finanzielle Situation sorgen, erschrecken sich andere über ein Hämatom (Bluterguss). Vor ein paar Wochen kam eine junge Mutter zu mir und hat mir ihr Hämatom an ihrem Oberschenkel gezeigt. Sie sei umgefallen und habe sich den Oberschenkel gestossen, so dass sich ein Hämatom gebildet hat. Es war nicht weiter schlimm, ich habe ihr eine Creme verabreicht und ihr weitere Tipps gegeben. Als ich das Hämatom näher betrachtet habe, war ich etwas irritiert: Ganz viele kleine Stiche waren zu sehen. Auf Nachfrage hat mir die Mutter dann erzählt, dass sie letzte Nacht so erschrocken gewesen war, dass sie versucht hat, mit einer kleinen Nadel „Löcher“ in das Hämatom zu stechen, damit das Blut „raus fliessen“ kann. Ich war sehr erstaunt über ihren Gedankengang und war froh, als sie meinen Rat, sich nicht mehr mit einer Nadel dort hinein zu stechen, angenommen hat.

Mein erstaunter Gesichtsausdruck kam letzte Woche nochmals zur Geltung: Ein junger Nachbarsjunge kam mit einem blutenden Knie vorbei. Er sei mit dem Fahrrad umgefallen und hat sich eine tiefe Wunde zugezogen. Es war anscheinend nicht allzu schmerzhaft für ihn, doch als ich die Wunde näher betrachtete, kam mir ein unangenehmer Geruch von Urin entgegen. Ich dachte zuerst, er habe sich in die Hose gepinkelt, aber dann habe ich bemerkt, dass die Wunde nach Urin riecht! Der Nachbarsjunge hat wahrscheinlich meinen Gesichtsausdruck bemerkt, denn er hat mir lachend erzählt, dass soeben sein Cousin über seine Wunde gepinkelt hat, da sie kein Wasser zum Reinigen zur Verfügung hatten und der Urin sei doch sauber. Ich konnte mir ein Lachen auch nicht verkneifen, aber habe sie gebeten, beim nächsten Mal keinen Urin zu verwenden. Die Wunde hat sich (wen erstaunt es) infiziert und heilt erst jetzt langsam ab.

So sind meine Tage hier immer sehr abwechslungsreich und oft amüsant. Unsere Bibliothek wird nach wie vor rege besucht. Mehr und mehr kommen auch junge Müttern in die Bibliothek; letzte Woche waren sie den ganzen Nachmittag begeistert am UNO spielen, welches wir ihnen zuvor beibrachten 🙂

Die Bibliothek wird rege genutzt

4. September 2020 – Das tägliche Leben in Honduras

Und schon wieder ein Monat länger mit Ausgangssperre! Mehr als fünf Monate besteht sie nun, obwohl sie ein wenig (Betonung auf „wenig“) gelockert wurde: Wir dürfen nun alle zehn Tage raus. Vorher war an den Wochenenden eine totale Ausgangssperre, keine Identitäts-Nummer-Endzahl durfte raus; nun werden auch die Wochenenden dazu gezählt und es gibt ein Zehn-Tage-Rhythmus. Dass der Corona-Virus für die korrupte Politik mittlerweile eine bequeme Ausrede ist, ist mehr als offensichtlich. Ihnen passt es, wenn die Bevölkerung zu Hause bleiben muss und die Politiker / Politikerinnen so mehr Kontrolle über sie hat; und gleichzeitig können sie in Ruhe ihre Geschäfte abwickeln und Gesetze zu ihren Gunsten ändern. Die Bevölkerung ist wütend und enttäuscht, und zeigt sich sehr einfallsreich im Demonstrieren: vor ein paar Wochen haben Unbekannte den Satz „Donde esta el dinero? Honduras lo exige!“ (Wo ist das Geld? Honduras verlangt es!) gross auf den Boden einer Brücke gemalt; so gut, dass es nicht weggemacht werden kann. Es wurde mit allerlei Materialien versucht, aber kein Erfolg; es ist immer noch sichtbar. Der Satz weist darauf hin, dass die für die Pandemie zugesprochenen Gelder nicht sichtbar für die deren Bekämpfung eingesetzt werden: Spitäler haben weiterhin fast keine Schutzmassnahmen, Ärzte und Ärztinnen sowie Pflegefachleute haben weiterhin ungenügenden Schutz und es mangelt an Medikamenten. Wo ist das Geld, welches von verschiedenen internationalen Organisationen gespendet worden ist? Das ist die grosse Frage, die sich Honduraner und Honduranerinnen stellen.

Eine weitere „Lockerung“ der Ausgangssperre wurde ebenfalls vor ein paar Wochen eingeführt: Wenn man eine Hotelreservation hat, darf man zum jeweiligen Hotel fahren und so auch raus, auch wenn es nicht „dein“ Tag ist. Man darf also nationalen „Tourismus“ betreiben, während die meisten Markt-Verkäuferinnen und –Verkäufer immer noch keine Erlaubnis haben, ihre Sachen zu verkaufen und so etwas Geld zu verdienen….

Ein trauriges Beispiel, welches die Insuffizienz des Gesundheitssystems und der starke Einfluss der Religion zeigen, habe ich diese Woche miterlebt. Eine 60-jährige Frau wurde mit Symptomen eines Hirnschlages ins Spital eingeliefert. Während den drei Tagen, in denen die Frau hospitalisiert war, wurde lediglich die Diagnose bestätigt (anhand von Beobachtungen, nicht anhand von Bildgebung wie CT oder ähnlichem) und sie hat Sauerstoff als „Therapie“ erhalten. Die Patientin war seit der Einlieferung nicht ansprechbar, ihr Sohn war die ganze Zeit bei ihr und als auch am dritten Tag keine adäquate Therapie begonnen wurde, hat der Sohn seine Mutter mit nach Hause genommen; im Wissen, dass ihr nicht geholfen wird. Ich ging die Frau besuchen, zwei Tage nachdem sie der Sohn mit nach Hause genommen hat. Die arme Frau hatte seit fünf Tagen keine Nahrung und nur ganz wenig Flüssigkeit erhalten. Eine intravenöse Flüssigkeitszufuhr war leider nicht mehr möglich und auch per Mund war eine Nahrungsaufnahme sehr schwierig bis fast unmöglich. Und trotzdem war dies die einzige Möglichkeit, ihr wenigstens ein wenig Nahrung und Flüssigkeit zu geben. Die Frau ist gestern Morgen verstorben; nach acht Tagen ohne Nahrung, ohne Flüssigkeit und mit einem unbehandelten Hirnschlag – und mit Schmerzen, da die Religion, der sie angehörte, Schmerzmittel bei Sterbenden verbietet.

Ein improvisiertes Triage-Zentrum unter einem Plastikzelt und dies obwohl Millionenbeträge von internationalen Institutionen an die Honduranische Regierung überwiesen wurden als Antwort auf die Pandemie.

Obwohl viele traurige Sachen passieren, möchte ich umso mehr etwas Erfreuliches berichten: Hier im Dorf, wo ich wohne, haben wir eine Dorf-Bibliothek eröffnet. Das mag jetzt vielleicht für einige etwas komisch klingen, denn wer braucht schon Bücher in dieser Pandemie Zeit? Ich gebe dieser Aussage insofern recht, dass Bücher keine Leben retten, aber sie können die psychische Gesundheit stärken! Die Kinder und Jugendliche haben seit März keine Schule, sie sind zu Hause und wissen nicht recht was machen. Sie müssen arbeiten gehen oder oft die angespannte und nicht ganz einfache Stimmung zu Hause aushalten. Dank gesammelten Büchern und Malsachen sowie einigen Spielen können wir den Kindern und Jugendlichen eine sinnvolle Aktivität und Entfliehen des Alltags ermöglichen – und sie dürfen einfach für einen Moment Kind sein! Die leuchtenden Augen, wenn sie ein Buch in die Hände nehmen, bestätigt uns immer wieder, dass die Bibliothek eine Notwendigkeit hat. Bücher sowie Malsachen sind für die meisten Familien viel zu teuer und sie können es sich nicht leisten. Schön zu sehen, dass Sachen, welche für viele selbstverständlich sind, so eine grosse Wirkung erzielen 

5. August 2020 – Das tägliche Leben in Honduras

Und schon ist der Monat August da! Gerne würde ich schreiben, dass die Ausgangssperre mittlerweile gelockert wurde, aber dem ist nicht so. Die Ausgangssperre besteht weiterhin, die Bevölkerung darf nur alle zwei Wochen raus. Bald werden es fünf Monate her sein, seit die Ausgangssperre verordnet worden ist. Die Strassen in der Hauptstadt sind nach wie vor fast leer; viele Personen gehen aber auf die Strasse, um verschiedene Sachen zu verkaufen: So findet man am Strassenrand Ventilatoren, Sonnenbrillen, DVD’s, Hüte, ja sogar das Kartenspiel UNO, Monopoly und Bingo! Andere bauen jeden Tag am Strassenrand ihren kleinen Verkaufsstand auf, wo man oft fast alles finden kann: Seife, Abwaschmittel, Waschmittel, Chlor, Desinfektionsmittel, Mundschutz, Eier, Haarklammer, Handyzubehör,… Ebenfalls gibt es Personen, die an der Ampel stehen und gegen ein kleines Trinkgeld die Autopneus desinfizieren – obwohl all dies wahrscheinlich etwas lustig klingt, ist es oft für all diese Personen die einzige Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen und damit ihre Familie ernähren zu können.

Improvisierter Strassenverkauf mit einer überraschend breiten Produktpalette

Die Zahl der Infizierten steigt täglich; eine Besserung ist nicht in Sicht. Meiner Meinung nach ist es auch sehr schwierig, dass sich die Situation bessert, denn nicht einmal die Personen, die an vorderster Front mit den Covid-Patienten / Patientinnen arbeiten, haben genügend Schutzmaterial. Die Patienten und Patientinnen werden in provisorischen Zelten behandelt. Oft höre ich, dass der Sauerstoff zu einer Mangelware geworden ist. Wie soll sich also die Situation verbessern, wenn vom Staat ungenügender Schutz für das Gesundheitspersonal zur Verfügung gestellt wird und eines der wichtigsten Hilfsmittel der Therapie, Sauerstoff, eine Mangelware ist?

Viele Personen in der Hauptstadt gehen auf die Strassen um zu demonstrieren. Ich erhalte fast wöchentlich Aufrufe, um an einer friedlichen Demonstration mitzumachen. Diese Demonstrationen finden entweder mit dem Auto statt oder mit Masken und genügend Abstand. Es wird vor allem gegen die Korruption demonstriert, da überall bekannt ist, dass der Staat widersprüchliche Massnahmen ergreift. Anscheinend hat der Präsident mobile Spitäler in der Türkei gekauft, welche vor einigen Wochen in Honduras angekommen sind – sie waren aber nicht komplett, es kamen nur 2 von den 7 (anscheinend) bezahlten Spitälern an; der Rest wird wahrscheinlich auch nie ankommen. Und es sind auch keine Spitäler, sondern nur Triage Räume; medizinische Geräte oder Materialien sind nicht dabei. Viele fragen sich, wo die Millionen von Dollars, die gespendet wurden geblieben sind?

Autoprotest: Wo ist das Geld geblieben?

Die bestehende Ausgangssperre hat einen erheblichen Einfluss auf die häusliche Gewalt; und leider keinen positiven. Letzte Woche bekam ich einen Anruf von meiner Nachbarin; sie sei mit ihren 2 Kindern bei einer Freundin versteckt, da ihr Ehemann sie verfolge. Anscheinend gab es die Nacht zuvor einen heftigen Streit, wobei der Ehemann gewalttätig wurde. Der Ehemann hat vor der Corona-Krise in einem Restaurant gearbeitet, doch da alle Restaurants geschlossen sind, ist er seit mehr als vier Monaten ohne Arbeit zu Hause. Meine Nachbarin bat mich, sie und ihre Kindern in ihr Heimatort zu bringen, der ungefähr 40 Minuten entfernt liegt. Sie halte die Laune ihres Ehemannes nicht mehr aus. So habe ich sie in ihr Heimatort gefahren. Beispiele, wie jenes meiner Nachbarin, gibt es hier in Honduras wahrscheinlich viele mehr. Die ganzen negativen Auswirkungen der Ausgangssperre werden jedoch vom Staat totgeschwiegen… leider!

Da hier immer noch Maskenpflicht gilt, sehe ich immer wieder einige sehr einfallsreiche Methoden, diese Pflicht einzuhalten. Letztes Mal habe ich im Supermarkt eine Person gesehen, bei der man nur noch die Augen gesehen hat, alles andere war in einen Schal-ähnlichen Stoff eingebunden. Und mein Favorit von dieser Woche ist der einfallsreiche Herr, der sein Motorradhelm anstatt einer Maske im Supermarkt trägt : )

6. Juli 2020 – Das tägliche Leben in Honduras

Am 15. Juli werden es 4 Monate her sein, seit der Honduranische Präsident eine totale Ausgangssperre verordnet hat, wegen Covid-19. Die Bevölkerung darf einmal alle zwei Wochen auf die Strasse, um in den Supermarkt, Bank oder die Apotheke zu gehen. Man stellt sich vielleicht vor, dass die ganzen Strassen leer sind, doch ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen und Autos in den Strassen von Tegucigalpa zu sehen sind – es scheint mir, dass jedes Mal, wenn ich in die Hauptstadt gehe, mehr Frauen, mehr Männer und vor allem mehr Kinder am Strassenrand sitzen und nach Geld oder Essen fragen. Dies ist oft ihre einzige Möglichkeit, um einige Honduranische Lempiras zu ergattern und sich so das Abendessen und wenn es gut läuft, auch das Mittagessen vom nächsten Tag zu kaufen. Eine Unterstützung vom Staat ist nach wie vor nicht sichtbar.

Vogelperspektive auf Tegucigalpa – von hier sieht alles noch normal aus.

Ich kenne viele, zu viele Personen, die ihre Arbeit entweder verloren haben oder welche von ihrer Arbeit suspendiert worden sind und kein Lohn erhalten. All diese Personen haben seit fast 4 Monaten kein Einkommen haben…und die Suche nach einer Arbeit war vorher schon schwierig, geschweige denn jetzt in dieser Situation.

Heute hat mir meine Nachbarin erzählt, dass sie seit 4 Monaten kein Geld verdient, sie arbeitete vor Corona an einer Internationalen Schule als Betreuerin. Sie sucht kleine Arbeiten hier im Dorf wie Wäsche waschen, putzen, Mais mahlen etc., doch oft sei es schwierig, da so viele diese Dienstleistungen anbieten.

Ein anderes, hier ein scheinbar vergessenes Problem, ist die Mückensaison und die damit übertragene Krankheit „Dengue“. Dengue ist eine Krankheit, die von Mücken übertragen wird und Symptome wie hohes Fieber und Gliederschmerzen hervorruft, vor allem bei Kindern kann diese Krankheit lebensgefährliche Komplikationen wie innere Blutungen hervorrufen. Viele Spitäler haben keine Kapazität mehr (obwohl sie vor dem Covid-19 auch schon wenig Kapazität hatten) und so hat mir eine Nachbarin erzählt, dass sie mit Dengue Symptome ins Spital ging, dort positiv auf Dengue getestet wurde, sie wurde jedoch wieder nach Hause geschickt, da die Ärzte keine Ressourcen hatten, sich um eine Dengue-Patientin zu kümmern. Glücklicherweise hat sie keine Komplikationen entwickelt und es geht ihr heute wieder besser.

Die honduranischen Spitäler sind seit längeren an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen, respektive bereits darüber hinaus.

Über das Virus wird hier viel spekuliert, oft auch Sachen, welche weit von der Wahrheit entfernt sind. Maskenpflicht besteht hier schon lange, oft bin ich erstaunt über die Kreativität der Menschen, mit was man alles eine Maske basteln kann: Socken, T-Shirts, Stofffetzen, etc. Gestern habe ich im Supermarkt sogar eine Person gesehen, welche 3 Masken übereinander getragen hat… für mich erstaunlich, wie diese Person noch atmen konnte!

Autos werden hier desinfiziert mit einer Chlormischung, die Schuhsohlen werden ebenfalls immer gereinigt mit dieser Mischung wenn man in ein Geschäft geht, und zu guter Letzt wird geraten, alle Einkäufe, welche ausser Haus gemacht werden, mit dieser Chlormischung abwaschen, um das Virus abzutöten. Dabei scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass Chlor eine nicht ungefährliche Lösung ist, welche Haut und Augen reizen können und sich auch negativ auf die Atemwege auswirkt. Paradox scheinen diese Massnahmen auch, wenn man bedenkt, dass vor allem in Tegucigalpa eine enorme Wasserknappheit herrscht – und das vorhandene Wasser wird für diese Zwecke eingesetzt?

Es wird eine Angst entwickelt, die sogar so weit geht, dass viele Pflegefachfrauen und –männern, welche sich im Spital um die Corona-Patienten/-innen kümmern, Morddrohungen erhalten und von ihrem Wohnviertel verpönt werden – aus Angst, sich mit dem Virus anzustecken.

Trotz dieser schwierigen Situation ist hier im Dorf eine Solidarität sichtbar, welche die Unterstützung der Nachbarn zeigt. Es werden angepflanzte Gemüse untereinander ausgetauscht und unser lieber Nachbar, welcher ca. 80 Jahre alt ist (sein genaues Alter habe er vergessen…) geht immer noch jeden Tag in den Wald, um Brennholz zu sammeln und kommt bei uns vorbei für einen „Schwatz“, um uns zu erzählen, dass „der da oben“ (er meint Gott) ihn immer noch nicht bei sich haben will, deswegen gäbe es wieder einen Tag im Wald für ihn.