Und schon wieder ein Monat länger mit Ausgangssperre! Mehr als fünf Monate besteht sie nun, obwohl sie ein wenig (Betonung auf „wenig“) gelockert wurde: Wir dürfen nun alle zehn Tage raus. Vorher war an den Wochenenden eine totale Ausgangssperre, keine Identitäts-Nummer-Endzahl durfte raus; nun werden auch die Wochenenden dazu gezählt und es gibt ein Zehn-Tage-Rhythmus. Dass der Corona-Virus für die korrupte Politik mittlerweile eine bequeme Ausrede ist, ist mehr als offensichtlich. Ihnen passt es, wenn die Bevölkerung zu Hause bleiben muss und die Politiker / Politikerinnen so mehr Kontrolle über sie hat; und gleichzeitig können sie in Ruhe ihre Geschäfte abwickeln und Gesetze zu ihren Gunsten ändern. Die Bevölkerung ist wütend und enttäuscht, und zeigt sich sehr einfallsreich im Demonstrieren: vor ein paar Wochen haben Unbekannte den Satz „Donde esta el dinero? Honduras lo exige!“ (Wo ist das Geld? Honduras verlangt es!) gross auf den Boden einer Brücke gemalt; so gut, dass es nicht weggemacht werden kann. Es wurde mit allerlei Materialien versucht, aber kein Erfolg; es ist immer noch sichtbar. Der Satz weist darauf hin, dass die für die Pandemie zugesprochenen Gelder nicht sichtbar für die deren Bekämpfung eingesetzt werden: Spitäler haben weiterhin fast keine Schutzmassnahmen, Ärzte und Ärztinnen sowie Pflegefachleute haben weiterhin ungenügenden Schutz und es mangelt an Medikamenten. Wo ist das Geld, welches von verschiedenen internationalen Organisationen gespendet worden ist? Das ist die grosse Frage, die sich Honduraner und Honduranerinnen stellen.
Eine weitere „Lockerung“ der Ausgangssperre wurde ebenfalls vor ein paar Wochen eingeführt: Wenn man eine Hotelreservation hat, darf man zum jeweiligen Hotel fahren und so auch raus, auch wenn es nicht „dein“ Tag ist. Man darf also nationalen „Tourismus“ betreiben, während die meisten Markt-Verkäuferinnen und –Verkäufer immer noch keine Erlaubnis haben, ihre Sachen zu verkaufen und so etwas Geld zu verdienen….
Ein trauriges Beispiel, welches die Insuffizienz des Gesundheitssystems und der starke Einfluss der Religion zeigen, habe ich diese Woche miterlebt. Eine 60-jährige Frau wurde mit Symptomen eines Hirnschlages ins Spital eingeliefert. Während den drei Tagen, in denen die Frau hospitalisiert war, wurde lediglich die Diagnose bestätigt (anhand von Beobachtungen, nicht anhand von Bildgebung wie CT oder ähnlichem) und sie hat Sauerstoff als „Therapie“ erhalten. Die Patientin war seit der Einlieferung nicht ansprechbar, ihr Sohn war die ganze Zeit bei ihr und als auch am dritten Tag keine adäquate Therapie begonnen wurde, hat der Sohn seine Mutter mit nach Hause genommen; im Wissen, dass ihr nicht geholfen wird. Ich ging die Frau besuchen, zwei Tage nachdem sie der Sohn mit nach Hause genommen hat. Die arme Frau hatte seit fünf Tagen keine Nahrung und nur ganz wenig Flüssigkeit erhalten. Eine intravenöse Flüssigkeitszufuhr war leider nicht mehr möglich und auch per Mund war eine Nahrungsaufnahme sehr schwierig bis fast unmöglich. Und trotzdem war dies die einzige Möglichkeit, ihr wenigstens ein wenig Nahrung und Flüssigkeit zu geben. Die Frau ist gestern Morgen verstorben; nach acht Tagen ohne Nahrung, ohne Flüssigkeit und mit einem unbehandelten Hirnschlag – und mit Schmerzen, da die Religion, der sie angehörte, Schmerzmittel bei Sterbenden verbietet.
Obwohl viele traurige Sachen passieren, möchte ich umso mehr etwas Erfreuliches berichten: Hier im Dorf, wo ich wohne, haben wir eine Dorf-Bibliothek eröffnet. Das mag jetzt vielleicht für einige etwas komisch klingen, denn wer braucht schon Bücher in dieser Pandemie Zeit? Ich gebe dieser Aussage insofern recht, dass Bücher keine Leben retten, aber sie können die psychische Gesundheit stärken! Die Kinder und Jugendliche haben seit März keine Schule, sie sind zu Hause und wissen nicht recht was machen. Sie müssen arbeiten gehen oder oft die angespannte und nicht ganz einfache Stimmung zu Hause aushalten. Dank gesammelten Büchern und Malsachen sowie einigen Spielen können wir den Kindern und Jugendlichen eine sinnvolle Aktivität und Entfliehen des Alltags ermöglichen – und sie dürfen einfach für einen Moment Kind sein! Die leuchtenden Augen, wenn sie ein Buch in die Hände nehmen, bestätigt uns immer wieder, dass die Bibliothek eine Notwendigkeit hat. Bücher sowie Malsachen sind für die meisten Familien viel zu teuer und sie können es sich nicht leisten. Schön zu sehen, dass Sachen, welche für viele selbstverständlich sind, so eine grosse Wirkung erzielen
Danke für dieses Stimmungsbild aus Honduras – und vor allem auch für deine Präsenz bei den Menschen dort, gerade in dieser so schwierigen Zeit. Ich wünsche dir weiterhin alles Gute und schöne, ermutigende Begegnungen, trotz allem.
mit herzlichem Gruss, Karl
Miriam, Dir weiter alles, alles Beste, viel Mut und Zuversicht und ab und zu auch eine erheiternde oder lustige Episode! Schau gut zu Dir!
Con fuerte abrazo muy cordial
Christa Spycher